"Die ökologische Transformation wird keine harmonische Veranstaltung"

Expedition: Vom Konflikt zur Lösung
Projektname: Forschungsgruppe Ökologische Konflikte

Auf der einen Seite sitzen die Aktivisten, die sich auf die Straße kleben, um ihre Forderungen nach wirksamen und schnellen Klimaschutzmaßnahmen durchzusetzen. Auf der anderen Seite stehen wütende Autofahrer und Politikerinnen und Politiker, die von „Klimaterroristen“ sprechen. Der Sozialwissenschaftler Dr. Vincent August schaut sich solche Auseinandersetzungen aus der wissenschaftlichen Perspektive an. Seine Forschungsgruppe „Ökologische Konflikte“ startet im Mai 2023 mit drei Promotionsstipendien.

Globaler Klimastreik in Berlin im September 2021

(© Falk Weiß)

Herr Dr. August, Sie erforschen das Konfliktgeschehen um ökologische Fragen mit einer eigenen Arbeitsgruppe. Warum ist dieses Forschungsthema für Sie so interessant?

Die ökologische Transformation ist der Schlüssel für gegenwärtige und künftige Gesellschaften. Es wird mit zunehmender Schärfe darüber gestritten, welche Veränderungen notwendig sind und wie sie umgesetzt werden sollen. Die Sozialwissenschaften können und sollten auch dazu beitragen, diesen Transformationsprozess besser zu verstehen und zu begleiten. Dass uns ein Verständnis für Konflikte fehlt, konnten wir gut in der Corona-Pandemie beobachten. Anfangs dachten viele, dass aus dieser fürchterlichen Situation eine solidarischere Gesellschaft entstehen könnte. Wenige Monate später waren sie massiv enttäuscht. Denn das ist nicht passiert. Stattdessen gab es scharfe Konflikte, wie es eben auch jetzt bei Klima- und Umweltschutzfragen zu beobachten ist. Uns fehlt bisher noch das Verständnis dafür, wie diese Konfliktprozesse ablaufen.

Um welche Fragen geht es dabei?

Das große Thema ist, wie in den ökologischen Konflikten unserer Zeit die Konturen der kommenden Gesellschaft ausgehandelt werden. Das schauen wir uns auf drei Ebenen an. Die Institutionenebene umfasst Fragen wie: Wer oder was soll politisch und rechtlich repräsentiert werden? Sollen zukünftige Generationen im politischen Prozess fest institutionalisiert eingebunden werden? Sollen Flüsse oder Berge eigene Rechte bekommen? Auf Ebene der sozialen Gruppen untersuchen wir, welche Akteure sich gegenüberstehen, welche Gruppen sich neu bilden, was ihre Ziele sind. Prominentes Beispiel ist hier natürlich Fridays for Future, die beanspruchen, für die „zukünftige Generation“ zu sprechen. Uns interessiert, wann und von wem diese Gruppen als Repräsentanten anerkannt und akzeptiert werden. Und drittens untersuchen wir, wie die Konflikte ausgetragen werden. Welche Dynamiken beobachten wir? Welche Erinnerungen – Stichwort „Grüne RAF“ – werden aufgerufen, um die eigenen Ziele zu erreichen? Was wird als legitim betrachtet?

Wie untersuchen Sie diese Fragen?

Wir haben die schon erwähnten drei Forschungsebenen, die wir auf drei verschiedene Konfliktgeschehen anwenden: Den von der Kohlekommission erarbeiteten Weg zum Kohleausstieg und daraus entstehende Konflikte wie etwa die Proteste in Lützerath, das sogenannte Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Regierung mit Blick auf zukünftige Generationen zu mehr Anstrengungen im Klimaschutz verpflichtet, und Konflikte um die kommende Weltklimakonferenz. Diese Fälle untersuchen wir genauer und analysieren dafür Diskurse und Netzwerke, schauen uns die Berichterstattungen, Flyer, Videos und Protestaufrufe an, beobachten Proteste vor Ort und führen Interviews.

Wie unterscheiden sich die von Ihnen betrachteten ökologischen Konflikte von anderen Konflikten?

Grundsätzlich haben wir es derzeit mit einer ganzen Reihe von Konflikten zu tun, in denen die moderne Gesellschaft mit den Folgeschäden ihres eigenen Handelns konfrontiert wird. Wir haben eine koloniale und patriarchale Vergangenheit und erleben heute harte Konflikte um Gleichstellung, Migration oder Rassismus. Die moderne Gesellschaft hat aber auch industrielle Wurzeln und kommt nun an die materiellen Grenzen ihrer Wirtschaftsweise. Unsere Art der Ressourcennutzung kann für die Zivilisation, wie wir sie kennen, gefährlich werden – darüber ist sich die Wissenschaft sehr klar. Nun kommen plötzlich einige gut etablierte soziale Gruppen und Organisationen der industriellen Moderne unter einen Rechtfertigungsdruck, den sie vorher so nicht kannten. Das betrifft natürlich Industrieverbände, Unternehmen, aber auch Gewerkschaften, die emotional die Kohlekumpel hochhalten. Was über lange Zeit als gut und richtig galt, was man auch in Erzählungen und Symbolen verdichtet wiederfindet, das wird infrage gestellt und umgewertet. Das führt zu scharfen Reaktionen, weil man sich angegriffen fühlt. Auf der anderen Seite entstehen neue Solidargruppen, die Anspruch auf einen bestimmten Strukturwandel erheben. In den aktuellen Umweltkonflikten geht es nicht mehr um enge Sachfragen, sondern es geht ums Ganze, um den Status und die Institutionenordnung der Gesellschaft. Das lässt niemanden kalt.

Eine Demonstrantin beim Klimastreik im September 2021 in Berlin

(© Falk Weiß)

Welche Akteure treffen in den Auseinandersetzungen aufeinander und wie setzen sie ihre jeweiligen Standpunkte durch?

Das wollen wir natürlich untersuchen, aber was wir bereits beobachten ist: Wir haben die Klimabewegung, die sehr heterogen ist, aber insgesamt auf eine gewisse Eskalation setzt. Das macht jede Protestbewegung so und das muss sie auch, denn sonst geht das Thema unter und verschwindet von der Agenda. Sehr erfolgreiche Massenproteste, wie wir sie vor Corona mit Fridays for Future erlebt haben, lassen sich selten über einen langen Zeitraum mit der gleichen Intensität aufrechterhalten. Dann braucht man eine andere Organisations- und Aktionsform, die auf kleinere, kohäsivere Gruppen und aufmerksamkeitsorientierte Aktionen setzt, so wie es die Letzte Generation tut. Auf der anderen Seite nutzen eher konservative Politikerinnen und Politiker, aber auch Medien, ebenfalls Eskalationsstrategien. Sie bezeichnen die Aktiven als „Klimachaoten“, rücken sie sogar in die Nähe des Faschismus oder warnen vor einer „grünen RAF“. Das Ziel ist auch hier, den Konflikt zu verschärfen, dabei aber den Diskurs weg vom Klimawandel hin zu einer vermeintlichen Bedrohung der guten Ordnung zu verschieben. Man kann sich dann als Repräsentant dieser guten Ordnung positionieren. Und dann haben wir noch eine dritte Gruppe, die überhaupt nicht daran interessiert ist, dass der Konflikt eskaliert und thematisiert wird. Das sind Akteure der industriellen Moderne wie etwa Kohle- und Ölunternehmen. Diese Gruppe schweigt am liebsten dazu. Alternativ kommuniziert sie so, dass der Diskurs weg vom Klimawandel hin zu Sicherheitsthemen geschoben wird, wo mit mehr Unterstützung zu rechnen ist. Das konnte man auch an RWE beim Lützerath-Protest gut beobachten. Und diese Gruppe fährt Desinformationskampagnen. Wir wissen ja schon länger, dass etwa ExxonMobil bereits in den 1970er Jahren von der Erderwärmung durch Treibhausgasemissionen wussten, und spätestens seit diesem Jahr wissen wir auch, dass die errechneten Prognosen sehr genau waren. Öffentlich wurde das aber sehr lange geleugnet und Zweifel gestreut.

Die Forschungsgruppe "Ökologische Konflikte" untersucht unter anderem, welche Akteure sich mit welchen Zielen beteiligen.

(© Falk Weiß)

Erwarten Sie, dass sich Bewegungen wie die „Letzte Generation“ oder „Extinction Rebellion“ weiter radikalisieren werden und dass es zu Gewalt kommt?

Man muss zunächst einmal dieses „weiter“ hinterfragen. Denn von einer Radikalisierung kann hier eigentlich noch keine Rede sein. Es wird die Polizei informiert, wenn Klebeaktionen geplant sind, es werden Gemälde mit Suppe beworfen, die durch eine Glasscheibe geschützt sind. Das sind keine Merkmale einer Radikalisierung. Es handelt sich auch im Vergleich mit anderen Protesten um eher moderate Formen. Man kann schwer sagen, was zukünftig passieren wird, weil Konflikte mit Ungewissheiten aufseiten der Akteure einhergehen, die neue Dynamiken auslösen können. Mit aller Vorsicht erwarte ich aber keine Radikalisierung im starken Sinn. Wir haben es nicht mit einer revolutionären Bewegung zu tun, die auf den Umsturz des politischen Systems setzen würde.

Gibt es Gefahren für unsere Demokratie bei zunehmenden Konflikten um ökologische Fragen?

Konflikte – auch wenn sie sehr intensiv ausgetragen werden – sind erst einmal nicht grundsätzlich gefährlich. Es werden die Konturen der kommenden Gesellschaft neu ausgehandelt. Der Begriff „Aushandlung“ klingt sehr harmonisch, aber von dieser Vorstellung müssen wir uns verabschieden. Das wird es ganz klar nicht werden. Wir werden scharfe, langanhaltende Konflikte sehen, mit parallelen Dynamiken auf emotionaler, sozialer und sachlicher Ebene. Es gibt hier noch keine ritualisierten Regelungen wie etwa bei Tarifverhandlungen. Aber dass Konflikte intensiver werden, heißt nicht, dass wir eine Spaltung der Gesellschaft haben. Eine Polarisierung der Gesellschaft ist aus den Daten, die wir dazu auch hier am Institut haben, nicht zu erkennen. Wir sehen keine Lagerbildung mit zwei sich gegenüberstehenden Positionen, sondern wir haben viele heterogene, gemäßigte Positionen und sich kreuzende Konfliktlinien. Die Rede von der Polarisierung verdeckt, dass mit Konflikten auch eine andere „Gefahr“ einhergeht, nämlich die einer Ernüchterung und Abwendung von der Politik, weil es ihr nicht gelingt, den Konflikt in Lösungsansätze zu kanalisieren. Die Gefahr liegt dann eher darin, dass wir es nicht schaffen, den Klimawandel abzubremsen und uns auf die Folgen vorzubereiten.

Dr. Vincent August ist Sozialwissenschaftler und leitet die Forschungsgruppe "Ökologische Konflikte"

Sehen Sie in diesen Konflikten auch Chancen für unsere Demokratie?

Konflikte haben häufig sehr produktive Folgen für eine Gesellschaft. Erstens sind sie ganz oft Frühwarnsysteme für Probleme, zweitens generieren sie unterschiedliche Alternativen und Lösungsansätze. Und drittens befördern sie oft Integration und Teilhabe. Bei den ökologischen Konflikten sehe ich die große Chance, dass wir uns ernsthaft mit dem Thema beschäftigen müssen. Wie lösen wir die Probleme, die mit Klimawandel und Biodiversitätsverlust auf uns zukommen? Was müssen wir dafür umstellen und wie tief müssen wir in die gesellschaftlichen Routinen eingreifen? Das ist bisher offensichtlich noch nicht hinreichend geschehen. Die ökologischen Herausforderungen konfrontieren unsere Gesellschaft mit sich selbst, mit unangenehmen Folgen ihres eigenen Handelns, die auch die eigenen Erfolgsgeschichten infrage stellen. Das ist nie einfach. Aber ohne die Konflikte wird es auch keine Antwort auf die Herausforderungen geben.

Die Forschungsgruppe „Ökologische Konflikte“ wird von Dr. Vincent August von der Humboldt-Universität zu Berlin und von Prof. Dr. André Brodocz von der Universität Erfurt geleitet. Sie wird von der Gerda-Henkel-Stiftung mit rund 240.000 Euro gefördert.

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