Der unstillbare Ressourcenhunger

Expedition: Materialbestände
Projektname: MAT_STOCKS

Die Menschheit als gefräßiger Organismus, der sich das, was die Erde an Ressourcen hervorbringt, einverleibt, es verdaut und verarbeitet und als Müll oder Abgase wieder ausscheidet – diese Metapher fasst grob zusammen, was hinter dem Konzept des sozialen Metabolismus steckt. Im Projekt MAT_STOCKS untersuchen Umweltforscher der Universität für Bodenkultur in Wien und der Humboldt-Universität die Material- und Energieflüsse innerhalb dieses gesellschaftlichen Stoffwechsels mit dem Ziel, die Nutzung der Ressourcen nachhaltig zu gestalten.

Das Gebäude, in dem der Geograf und Informatiker Franz Schug arbeitet, gehört zum Campus der Humboldt-Universität in Berlin-Adlershof; ein Stadtteil im Südosten Berlins, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch im Grünen, vor den Toren der Stadt lag. Blickt man auf die digitale Karte zur Bodenbedeckung , die Schug auf Basis von Satellitenbildern berechnet hat, erkennt man den Ort als soliden roten, also dicht bebauten Fleck Erde. In Adlershof wurden – vor allem seit Ende der 1990er Jahre – viele Gebäude und Infrastruktur neu errichtet und damit jede Menge Ressourcen verbraucht und Material verbaut: Mineralien wie Sand und Schotter für Zement, Beton und Ziegelstein, aber auch Stahl, Kupfer und Holz, Kunststoffe aus Mineralöl und Bitumen für den Straßenbelag.

Materialbestand wächst schneller als die Menschheit

Die Veränderungen in Adlershof spiegeln den weltweiten Hunger nach Rohstoffen wieder. Nach Angaben der Vereinten Nationen ist der Rohstoffverbrauch von 43 Milliarden Tonnen im Jahr 1990 auf 92 Milliarden Tonnen im Jahr 2017 gestiegen – das „Futter“, das der gesellschaftliche Organismus für seinen „Betrieb“ verdaut, hat sich innerhalb von gut eineinhalb Jahrzehnten mehr als verdoppelt. Der Bestand an Gebäuden und Infrastrukturen vergrößert sich dabei viel schneller als die Menschheit. „Innerhalb der letzten 120 Jahre ist die Bevölkerung der Erde um das Vierfache gewachsen“, sagt Franz Schug. „Der Umfang der Materialbestände hat sich aber im selben Zeitraum um den Faktor 23 erhöht.“

Foto: Falk Weiß

Digitale Karten zeigen Ressourcenverbrauch

Die Satellitenbilder der Erde, aufgenommen von Erdbeobachtungssatelliten der US-Raumfahrtbehörde NASA und der europäischen ESA, die Franz Schug als Grundlage für seine „Material-Karten“ verwendet, bilden pro Pixel 100 bis 900 Quadratmeter der Erdoberfläche ab. Das ist eine vergleichsweise grobe Auflösung, wenn man wie Schug einzelne Bauten herausfiltern will. Dafür entwickelt der Doktorand des Integrative Research Institute on Transformations of Human-Environment Systems (IRI THESys) an der HU gemeinsam mit seinem Kollegen David Frantz vom Geografischen Institut automatisierte Methoden. Die verwendeten Algorithmen unterscheiden nicht nur zwischen urbanen, versiegelten Flächen und bewachsenen Flächen wie Wald und Wiesen, sie liefern auch Informationen zur Höhe der Gebäude (digitale Karte) und zu deren Nutzung. Wie dicht ist ein Wohngebiet bebaut, welche Gebäude dienen dem Wohnen, welche der Freizeit, wo sind Gewerbeflächen? Um Straßen zu identifizieren, werden zusätzlich die Daten der frei zugänglichen Plattform Open Street Map genutzt.

Wie viele Tonnen Beton und Stahl wurden wo verbaut?

„Wenn wir wissen, an welchem Ort welcher Typ von Gebäude steht, wann es erbaut wurde, welche Grundfläche es hat und wie hoch es ist, dann können wir berechnen, wie viele Tonnen Stahl, Kupfer, Beton und Kunststoffe (digitale Karte zum Materialverbrauch) verbaut wurden“, sagt Schug. Die Mengenangaben sind zwar nicht exakt, sondern nur Annäherungen, aber damit stehen erstmals Informationen zur räumlichen Verteilung der Materialbestände zur Verfügung – zunächst für Deutschland, Österreich und Japan, später sollen Indien, USA, Großbritannien und weitere Länder folgen.

Franz Schugs Forschung ist Teil des Forschungsprojekts Understanding the Role of Material Stock Patterns for the Transformation to a Sustainable Society (MAT_STOCKS), das an der Universität für Bodenkultur Wien beheimatet ist. Dort, am Institut für Soziale Ökologie (SEC) wurden in den letzten zwanzig Jahren die globalen Rohstoff- und Materialflüsse untersucht, um den „materiellen Fußabdruck“ einzelner Länder berechnen zu können.

Infografik: Pia Bublies

Umweltprobleme und Ressourcenverbrauch im Kontext verstehen

„Wir blicken nicht auf einzelne Umweltprobleme, sondern auf deren Interdependenzen“, erklärt der Sozialökologe und Projektmanager Dominik Wiedenhofer den Forschungsansatz. „Dafür analysieren wir den gesellschaftlichen Ressourcenverbrauch im Gesamtsystem. Von der Rohstoff-Extraktion über den Verbrauch, etwa durch den Bau und Betrieb von Straßen, Gebäuden und diversen Technologien bis zu deren ökologischen Folgen durch Emissionen und Abfälle.“ Um die Materialflüsse und Materialbestände zu messen, wurden bisher statistische Daten wie Produktionsstatistiken und Handelsbilanzen oder Dokumente der Raumplanung in Form von Katastern ausgewertet – eine nur mühsam aufzubauende und teilweise auch lückenhafte Datenbasis. „Wir wollen eine systematische Bestandsaufnahme und zwar für alle Länder dieser Welt und dafür sind Satellitendaten vielversprechend“, meint Wiedenhofer.

Tatsächlich geht es bei Sand und Kies, den Rohstoffen, die, weiterverarbeitet zu Beton, Zement und Asphalt hauptsächlich in Gebäuden und Infrastrukturen stecken, um gigantische Mengen. Sie machen den größten Teil der 47 bis 59 Milliarden Tonnen an Erzen und Mineralien aus, die Jahr für Jahr weltweit abgebaut werden. Wie viel genau, weiß niemand. Erst 2019 wies die UN-Umweltbehörde darauf hin, dass sich die Nachfrage nach diesen unscheinbaren Rohstoffen durch den weltweiten Bau- und Immobilienboom in den vergangen beiden Jahrzehnten verdreifacht hat, und warnte vor den Umweltfolgen.

Herstellung von Zement und Stahl treibt Treibhausgas-Emissionen in die Höhe

Allein der Erhalt von Straßen verschlingt schon einen Großteil dieser Baurohstoffe – insbesondere in reichen Industriestaaten wie Deutschland und Österreich, wo das Autobahn- und Straßennetz sehr dicht ist. „Ein Drittel bis die Hälfte des gesamten Ressourcenverbrauchs gehen in diesen Ländern auf das Konto von Baumaterialien wie Zement, Sand, Kies und Ziegelsteine“, sagt Wiedenhofer. Und weltweit ist allein die Herstellung von Zement für vier Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich“. Die Produktion von Eisen und Stahl, Materialien, die als Teil der Trägerkonstruktion in nahezu jedem Gebäude und jeder Infrastruktur stecken, verursacht weitere fünf Prozent. Wenn man dann noch die klimaschädlichen Emissionen durch die Beheizung von Gebäuden und die benzinbetriebene Autoflotte auf den Straßen bedenkt, wird klar, dass sich aus den Karten von Franz Schug viele Einsichten ableiten lassen. „Wir können Unterschiede zwischen Ländern und Regionen deutlich machen, räumliche Muster von Infrastrukturen und Siedlungsgebieten abbilden und somit Gestaltungsmöglichkeiten ableiten“, meint Wiedenhofer.

Foto: Falk Weiß

Foto: Falk Weiß

Gesellschaftliches Wohlergehen auch ohne stetig wachsende Materialbestände

Und für diese Gestaltungsmöglichkeiten gibt es seiner Ansicht nach großen Spielraum: „Gesellschaftliches Wohlergehen setzt zwar ein gewisses Niveau an Ressourcenverbrauch voraus. Doch Studien zeigen, dass dies erreicht werden kann, ohne dass der Ressourcenverbrauch stetig steigt. Und das ist für eine nachhaltige Zukunft unabdingbar.“ Costa Rica, Brasilien oder auch Neuseeland seien Beispiele dafür, dass eine vergleichsweise hohe Lebensqualität nicht zwingend mit hohem Ressourcenverbrauch und Materialbeständen einhergehen muss. Diese Länder verbauen pro Kopf nur ein Viertel bis halb so viel Beton wie Deutschland, der Energie- und Materialverbrauch ist um die Hälfte niedriger.

Materialbestände sind ein aussagekräftiger Indikator auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft und aus Sicht der Wissenschaftler zugleich der zentrale Ansatzpunkt für deren Gestaltung. Wird der soziale Metabolismus durch Politik und Gesellschaft nachhaltiger gestaltet und bleibt damit lebensfähig oder überschreitet er weiterhin die Grenzen der Belastbarkeit und verzehrt sich irgendwann selbst? Dank der von Franz Schug entwickelten Methoden und Kartierungen können wir uns ein noch genaueres Bild davon machen.

Weniger Ressourcen verbrauchen und trotzdem in Wohlstand leben. Geht das?
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Ansprechpartner*in

humboldts17.de

Humboldt-Universität zu Berlin
Charlottenstr. 42, 10117 Berlin

humboldts17@hu-berlin.de

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