„Es ist wichtig, dass wir Schulen haben, wo sich Menschen mit verschiedenen Lebenshintergründen begegnen.“

Robert Vief, Foto: Falk Weiß

Robert Vief

Wie verändern sich Schulen, wenn sich die soziale Zusammensetzung der Nachbarschaft wandelt? Das untersuche ich in meiner Dissertation am Beispiel von Berlin. Dabei geht es um zwei Arten von Segregation: die an Schulen und die in Nachbarschaften und darum, wie diese miteinander verschränkt sind.

Forschung zu Segregation bedeutet, dass die räumliche (Un)gleichverteilung von verschiedenen Gruppen in den Blick genommen wird. Dies kann anhand jedes messbaren Merkmals geschehen, aber meistens interessieren sich Forscher:innen für soziale Merkmale wie die Höhe des Einkommens oder den Migrationshintergrund der Bewohner:innen. Wenn in Berlin keine Segregation herrschen würde, dann lebten Kinder aus ärmeren Familien gleichmäßig verteilt in allen Nachbarschaften der Stadt. Konzentrieren sie sich dagegen in einem kleinen Teil von Berlin, sprechen wir von extrem hoher Segregation.

Aus der Forschungsliteratur ist bekannt, dass Schulen in den meisten Ländern tatsächlich stärker segregiert sind als die Stadtteile, in denen sie stehen. Über Deutschland weiß man in dieser Hinsicht eher wenig – eine Forschungslücke. Wie verhält sich dieser Zusammenhang beispielsweise über einen längeren Zeitraum in Berlin? Was passiert, wenn ein Stadtteil wie Neukölln durch den Zuzug junger Familien sozial durchmischter wird, also sozial schwache Schüler neben deutlich besser gestellten leben? Begegnen sich dann an den Schulen Menschen aus verschiedenen Schichten? Besitzen Schulen diese Integrationskraft?

Um diese Fragen zu beantworten, schaue ich mir die Grundschulen in Berlin an. Das ist deswegen interessant, weil die Berliner Senatsverwaltung Einzugsgebiete bestimmt, die festlegen, dass Kinder die Grundschule besuchen, die dem Wohnort räumlich am nächsten liegt. Würden sich alle Eltern daran halten, sähen Schulen genauso aus wie die Nachbarschaften. Aber Eltern umgehen diese Vorgabe. Einerseits mit Hilfe sozialer Unterstützungsnetzwerke und mit dem Wissen darüber, wie man Umschulungsanträge erfolgreich einreicht. Neben diesem kulturellen Kapital spielen auch finanzielle Mittel eine Rolle, wenn Eltern zum Beispiel staatliche Schulen durch die Wahl einer Privatschule umgehen. Darüber hinaus gibt es illegale Wege – etwa durch Ummeldung des Wohnorts eines Kindes zu einer Adresse von Verwandten oder Freunden.

Ich arbeite mit sehr vielen verschiedenen Daten. Zum einen solche zu den 375 öffentlichen und 61 privaten Grundschulen. An die Daten heranzukommen ist nicht ganz einfach. Man muss die Behörden teilweise länger nerven, um Zugang zu erhalten. Aber mit den entsprechenden Anträgen und Erklärungen zum Datenschutz geht es dann. Diese Daten geben unter anderem Auskunft zum Anteil der Schüler:innen, die eine Lernmittelbefreiung haben, andere staatliche Transferleistungen erhalten oder nicht-deutscher Herkunftssprache sind. Sie enthalten auch Indikatoren zur Qualität der Schule wie technische Ausstattung, Lehrkräfte/Schüler:innen-Verhältnis oder Unterrichtsausfall. Diese Daten führe ich mit kleinteiligen räumlichen Daten des statistischen Landesamtes und des Monitorings soziale Stadtentwicklung der Senatsverwaltung zusammen. Durch die verschiedenen Quellen kann ich Angaben miteinander kombinieren: zum Beispiel die zur Herkunft der dort lebenden Kinder mit der Armutsquote, aber auch mit Zu- und Wegzügen. Daten zur Mietentwicklung finde ich wiederum auf den Mietportalen auf Basis der Postleitzahlen. Alle diese Daten schaue ich mir für die letzten 10 Jahre an.

Aufgrund der Analyse der Daten kann ich schon jetzt sagen: Schulen in Berlin sind tendenziell stärker segregiert als die sie umgebende Nachbarschaft. Und das sieht man heute stärker als noch vor zehn Jahren. In Bezirken wie Neukölln oder Wedding, die starke Mietpreissteigerungen und Gentrifizierung erlebt haben, gibt es zwar heute unter den Bewohner:innen eine stärkere Durchmischung als noch vor zehn Jahren, aber die spiegelt sich an den Grundschulen nicht wider.

Die Schulen sind lange nicht so durchmischt, wie man das erwarten könnte. Das heißt, absolut gesehen hat die Segregation an den Schulen zwar abgenommen, aber relativ gesehen hat sie zugenommen. Ein Grund ist sicher die Expansion der Privatschulen in den letzten zehn Jahren. Die Schülerschaft dort ist wesentlich privilegierter und homogener als die an öffentlichen Schulen.

Dabei ist es so wichtig, dass es Orte wie Schulen gibt, wo sich Menschen begegnen. Geschieht das nicht, besteht die Gefahr, dass sich Menschen ständig in „Blasen“ bewegen, wo nur homogene Gruppen zusammenkommen. Wenn Menschen mit verschiedenen Lebenshintergründen in der Schule aufeinander treffen, ist man als Schüler:in vielleicht erst mal irritiert, aber man lernt dann, dass es in anderen Familien anders läuft als zu Hause. Dadurch macht man sich automatisch Gedanken darüber, warum das so ist, und kann Toleranz entwickeln. Haben Schüler:innen diese Gelegenheit nicht, entsteht einerseits weniger Toleranz, aber auch weniger Chancengleichheit.

Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Ich habe zu Beginn meiner Schulzeit eine sehr elitä
re Schule, das französische Gymnasium in Berlin, besucht. Viellicht erklärt das ein Stück weit meine Motivation als Wissenschaftler. An der Schule kamen alle Kinder aus sehr gut situierten und gebildeten Elternhäusern mit den besten Voraussetzungen für den Schulerfolg. Und es herrschte ein enormer Leistungsdruck. Ich habe mich an der Schule nicht wohlgefühlt und bin an eine Schule gewechselt, an der 70 Prozent der Schüler:innen Migrationshintergrund hatten und auch die soziale Zusammensetzung deutlich weniger homogen war. Das war ein viel angenehmeres Umfeld und ich habe für mein Leben viel mehr gelernt.

Berlin ist heute keine extrem segregierte Stadt im Vergleich zu Städten in den USA oder in den Ländern Südamerikas. Das sollten wir unbedingt erhalten. Denn das ist einfach die beste Grundlage für sozial durchmischte Schulen. Aber auch in Berlin gibt es Entwicklungen, die zu mehr Schulsegregation führen. Und dies hängt auch mit dem Wohnungsmarkt zusammen: junge ärmere Familien werden verdrängt, weil sie sie sich die Mieten nicht mehr leisten können – andere bleiben mit alten Verträgen wohnen, obwohl sie lieber umziehen würden. Wir beobachten in Großsiedlungen am Stadtrand wie dem Falkenhagener Feld in Spandau oder dem Märkischen Viertel in Reinickendorf, dass dort immer mehr Familien leben, die Transferleistungen erhalten – gleichzeitig durchmischen sich andere Nachbarschaften, ohne dass dies in gleicher Form an den Schulen passiert. Am Ende des Tages muss die Politik reagieren und diese Trends stoppen. Ich hoffe, die Verantwortlichen werden meine Dissertation lesen. Die Wohnungspolitik sollte mehr auf Familien und vor allem auf ärmere Familien schauen. Denn wenn die Wohnquartiere immer stärker segregiert sind, dann kann man das an den Schulen auch nicht mehr auffangen.

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